Ein Reisebericht von Connor Endt (JS 1)
Tag 1 (Mittwoch, 12. Februar 2014)
Heute quälen wir uns noch lange vor unseren Mitschülern aus dem Bett, denn wir müssen einen Flug erwischen! Nach und nach trifft die gesamte Band am Schorndorfer Bahnhof ein, alle etwas verschlafen, aber aufgeregt wegen der vor uns liegenden Tage. Der Flug nach München verläuft problemlos: keine großen Wartereien am Sicherheits-Check, nur Bass und Gitarre dürfen nicht mit ins Handgepäck. Zum Glück aber kommen alle Instrumente und die Band unbeschadet in München, unserem Zwischenziel, an.
Als ich während des Starts unseres Weiterfluges Richtung St. Petersburg aus dem Fenster schaue, wird unter mir die ländliche Umgebung Bayerns immer kleiner. Dann verdecken Wolken die Sicht. Drei Stunden später steuern wir auf den Zielflughafen zu, und ich schaue wieder aus dem Fenster. Die bayerischen Wiesen und Felder haben sich in eine grau- weiße Schneelandschaft verwandelt, überall ragen Hochhäuser und Fabrik-Schornsteine in die Luft.
Schwer bepackt fahren wir mit einem klapprigen Linienbus in die Stadt. Zum Glück haben wir Melanie Fink (Jahrgangsstufe 1) dabei, die perfekt Russisch spricht und so in jeder Situation zwischen Russisch und Deutsch vermitteln kann. Alleine hätten wir die richtige Haltestelle wahrscheinlich nie gefunden. Ich muss kein Schlagzeug durch Russland schleppen und kann mit leichtem Gepäck durch St. Petersburg schlendern. Wenn man in St. Petersburg durch die Straßen läuft, fällt einem sofort der extreme Unterschied zwischen Arm und Reich auf. Da gibt es schäbige alte Häuser, die kurz vor dem Zusammenbruch sind, und andererseits riesige prunkvolle Kaufhäuser und Boutiquen mit goldenen Säulen und eigenem Wachpersonal. Wir kämpfen uns durch die stickige Metro zum Bahnhof Ladozskaya. Die Metro-Eingänge sind sehr eindrucksvoll: schimmerndes Holz, alles blitzblank, sogar die Böden. Echt beeindruckend bei der Menge an Menschen, die jeden Tag durch St. Petersburgs Untergrund geschleust werden. Das Beste ist aber eigentlich, dass man mit einer extrem steilen Rolltreppe tief nach unten fährt.
Vom Bahnhof Ladozskaya aus fährt der Nachtzug, der uns direkt nach Petrozavodsk bringt. Die Abteile sind alle sehr klein und eng, man schläft auf winzigen Pritschen, die ausgeklappt werden. Gordon und ich teilen uns ein Abteil mit einer jungen Frau, die sowohl Russisch als auch Deutsch sprechen kann. Da fühlt man sich gleich nicht mehr ganz so verloren in einem Land, in dem man weder die Sprache, noch die Schrift verstehen kann.
Tag 2 (Donnerstag, 13. Februar 2014)
Der Zug schaukelt einen zwar sanft hin und her, trotzdem konnten wir alle kaum schlafen. Total übermüdet packen wir am Morgen unsere Sachen zusammen und schleppen uns zum Ausgang. Da werden auch schon die Türen geöffnet und helfende Hände nehmen unser Gepäck ab. Es ist 7 Uhr früh und trotzdem ist schon eine komplette Delegation samt Gastfamilien am Bahnhof! Gerade erst angekommen, geht es mit den Autos gleich weiter zu den Gastfamilien.
Ein paar Stunden später treffen wir uns alle am zugefrorenen Onegasee – ein wundervoller Anblick! Eingefrorene Schiffe ragen aus der glänzenden Eisfläche, die Sonne wird von den winzigen Eiskristallen reflektiert. Alles scheint zu glänzen, überall sind Leute, die das schöne Wetter genießen. Anastasia Popova, die Chor-Leiterin, wird uns die nächsten Tage betreuen. Sie führt uns am See entlang, dabei redet sie munter auf uns ein. So erfahren wir einiges über Petrozavodsk, zum Beispiel von der Legende, dass man über den Onegasee zum gegenüberliegenden Festland laufen kann. Oder dass das berühmte Eisskulpturen-Festival dieses Jahr um eine Woche verschoben wurde, weil es draußen zu warm ist. Wir machen plötzlich an einer kleinen Hütte Halt und Anastasia eröffnet uns, dass sie eine Überraschung für uns hat. Wir steuern auf die Hütte zu. Plötzlich öffnet sich die Tür und ein Schrank von einem Mann tritt uns entgegen. Trotz der Kälte trägt er nur ein Unterhemd. Sein ganzer Körper sieht aus wie ein riesiger Felsbrocken: groß und kantig. Er ist sogar so groß, dass er sich unter dem Eingang seiner Hütte ducken muss. An sich ziemlich furchteinflößend – wären da nicht sein herzliches Lächeln und der kleine Strohhut auf seinem Kopf. Etwas verunsichert folgen wir dem Riesen in seine Hütte. Als ich mich umschaue, wird mir sofort klar, dass dieser Mann von Beruf Schmied ist: Überall an den Wänden hängen Hämmer, Zangen und Metallteile. Der Schmied holt sich ein Hufeisen und beginnt es zu erhitzen. Nicht im klassischen Ofen, der im Hintergrund gelegentlich das Holz zum Knacken bringt, sondern mit einem Gerät, das wie eine komische Mischung aus Schraubstock und Schweißbrenner aussieht. Er erklärt uns stolz, dass dieses Gerät seine Erfindung sei. Während das Hufeisen innerhalb weniger Sekunden rot glüht, frage ich mich, ob die Griffe isoliert sind, schließlich trägt der Schmied keine Handschuhe, während er locker vor sich hin summt und seine Erfindung mit Starkstrom abermals das Eisen hellrot erhitzt. Wahrscheinlich nicht.
Das glühende Hufeisen wird auf einen Amboss in der Raummitte gelegt, dann drückt der Schmied dem etwas verblüfften Herrn Kroll einen goldenen Hammer in die Hand. Er soll mit einem kleinen Keil eine Kerbe in das Hufeisen schlagen, das bringe Glück und viele Kinder. Mit etwas Anstrengung gelingt unserem Musiklehrer eine ordentliche Kerbe. Jetzt sind wir dran, unter allgemeinen Geächze entsteht langsam eine Reihe von Kerben in dem Hufeisen. Bei dieser schweißtreibenden Aktion werden wir vom Schmied mit einigen deutschen Sätzen angefeuert: „Hau drauf!“ oder „Schneller!“. Danach bringt der große Mann noch eine Eisenstange durch Biegen und Verdrehen in eine beeindruckende Form: ein Schürhaken. Beide Sachen bekommen wir als Geschenk mit.
Und weiter geht es zur Musikschule, denn wir haben nicht viel Zeit. Dort gibt es ein Mittagessen, danach ist eine Masterclass von Herrn Kroll geplant. Jonas und ich beschließen spontan, Herrn Kroll dabei mit Klavier und Besenspiel zu begleiten. In der folgenden Stunde bringt Herr Kroll den Zuschauern die Improvisation näher, indem wir zusammen sein selbst komponiertes Stück „Circles“ spielen und taktweise einzelne Schüler dazu improvisieren können.
Am späten Nachmittag veranstalten wir die erste Chorprobe. Geplant sind Songs wie etwa „Oh Lovely Peace“ oder „Lead On“. Melanie wird den Solo-Gesang übernehmen, die Band wird den Chor begleiten. Herr Kroll steuert das eine oder andere Saxophon-Solo bei.
Tag 3 (Freitag, 14. Februar 2014)
Heute früh bekommen wir die Gelegenheit, bei der Masterclass des Gitarren-Virtuosen Alexander Vinitsky dabei zu sein. Sehr beeindruckend, vor allem für unseren Gitarristen Gordon. Danach gibt es eine weitere Chorprobe – man merkt, wie viel Energie und Zeit hier in die Musik gesteckt wird.
Am späten Nachmittag beginnen wir, unser Equipment zusammenzupacken, und bringen es zum „Begemot“ (deutsch: Nilpferd), einem Musik-Club, in dem wir an diesem Abend auftreten werden. Im Begemot müssen wir alles wieder aufbauen, was noch einmal eine halbe Stunde in Anspruch nimmt. Unser Konzert läuft sehr gut, die Leute sind begeistert von unserer Musik. Nach dem Konzert bekommen wir zahlreiche Komplimente, es werden viele Fotos gemacht, und wir unterhalten uns noch sehr lange mit dem Publikum und unseren russischen Begleitern.
Tag 4 (Samstag, 15. Februar 2014)
Schon früh treffen wir uns alle sehr verschlafen in der Musikschule zu einer morgendlichen Chorprobe. Am Abend soll das große gemeinsame Konzert der Musikschule stattfinden. Wir werden als Band einige Stücke präsentieren und die große Ehre haben, zusammen mit Alexander Vinitsky den Song „Mo’ Better Blues“ zu spielen. Ich bin mir sicher, dass die Songs genauso gut ankommen werden wie bei unserem Publikum im „Begemot“. Bis zum Abend ist die ganze Musikschule in Hektik, um ein perfektes Konzert vorzubereiten. Was letztendlich auch klappt! Nach diesem Konzert ist unsere Zeit in Russland schon fast abgelaufen.
Zum Abschluss gibt es Abendessen mit allen Organisatoren und den Gastfamilien im „Paulaner Brauhaus“, mit Brezen und Bratwurst. Wir bekommen einige Abschlussgeschenke überreicht und dann wird es Zeit, Abschied zu nehmen. Das fällt mir schon ziemlich schwer.
Ich habe die Leute aus Petrozavodsk als einfache, sehr herzliche und hilfsbereite Menschen erlebt. In all den Tagen wurde uns jeder Wunsch erfüllt und die Gastfamilien passten ihren gesamten Alltag an unsere Tagesabläufe an. In dieser halben Woche habe ich Petrozavodsk mit seinem kalten Wetter und warmherzigen Menschen lieb gewonnen.
Ich würde mich sehr freuen, unsere russischen Freunde irgendwann wieder zu sehen und ihnen einen Teil ihrer Freundlichkeit zurückzugeben.