Theater AG: Der Abend einer jungen Dame

Am Freitag (17. Juni 2016) und Samstag (18. Juni 2016) fand jeweils um 19 Uhr im Foyer des Max-Planck-Gymnasiums die Aufführung der Tragikomödie „Der Besuch der alten Dame“ der Theater-AG statt.  

“Man kann alles kaufen“

Güllen ist ein heruntergekommenes Dorf, die Einwohner arm. Nicht einmal Züge halten dort mehr. Doch der Besuch der Multimilliardärin Claire Zachanassian, die in Güllen aufgewachsen ist, soll nun einiges ändern. Sie soll all die verfallenen Gebäude sanieren und dem Dorf wieder zu Wohlstand verhelfen. Doch mit ihrer geforderten Gegenleistung für eine Milliarde bringt sie die Dorfbewohner in ein moralisches Dilemma – der Tod ihrer Jugendliebe Ill soll diese Gegenleistung sein. Claire wurde in ihrer Jugend aus Güllen vertrieben, als sie von Ill schwanger wurde. Vor Gericht konnte dieser jedoch durch die Bestechung von Zeugen die Vaterschaft abstreiten. Nun will Claire sich Jahrzehnte später rächen. Die Güllener sind bestürzt, doch die Gier siegt. Am neu gewonnenen Wohlstand seiner Mitbürger erkennt Ill, dass etwas schiefläuft …

„Die schönsten Geschichten schreibt das Leben“

Ein Theaterstück wie „Der Besuch der alten Dame“ steht und fällt mit der Darbietung der Hauptdarstellerin und ihrer Interpretation der titelgebenden Figur. Die alte Dame, Claire Zachanassian, umgibt in Dürrenmatts Vorlage eine Aura des Wunderbaren und Übermächtigen. „Was Gruseln heißt, Bürgermeister, weiß ich erst seit einer Stunde“, stellt der Lehrer im Werk nach der ersten Begegnung mit ihr fest. Als Judith Quast (Jahrgangsstufe 1) die Bühne des MPGs betritt – im purpurnen Kostüm, mit dunkler Feder am Hut und Goldgeschmeide –, strahlt sie eine eindrucksvolle Präsenz aus. Die Zuschauer sind gefesselt und man hat das Gefühl, als wurde ihr die Rolle auf den Leib geschrieben. „Wir haben in der Theater-AG die Tradition, dass je länger jemand dabei ist, umso eher können wir in der Regie schauen, ein Stück dementsprechend auszuwählen“, erklärt Nicole Lüber, die die Theater-AG zusammen mit ihrem Kollegen Christian Unger leitet. „Wir waren der Meinung, dass Judith momentan so weit ist, die Rolle der alten Dame gut spielen zu können und wir ihrem Talent damit gut entgegenkommen.“ Seit Jahren wirkt Judith Quast in der Theater-AG mit, hat sich mit kleineren („Die Räuber“, 2013) und größeren Nebenrollen („Top Dogs“, 2014; „Arsen und Spitzenhäubchen“, 2015) ihre Sporen redlich verdient. Nun steht sie zum ersten Mal in der Hauptrolle, spielt eine groteske Figur, die Schaudern und Lachen miteinander verbindet, und meistert diese gewaltige Herausforderung mit Bravour. Mit einem großen Gespür für die feinen Nuancen der Rolle verkörpert Judith Quast Claire Zachanassian überheblich, kummervoll, trocken und rachsüchtig.

Selbst sagt sie: „Mir gefällt an meiner Rolle, dass ich sie sehr vielseitig spielen kann. Zum einen ist Claire Zachanassian eine ulkige alte Dame, die Spaß an ihrer Intelligenz hat, zum anderen ist sie diese eiskalte Frau, der ganz schlimme Sachen passiert sind.“ „Ich bin ein verkrachter Krämer, in einem verkrachten Städtchen“ Ihren Gegenpart übernimmt Mika Wagner (Klasse 10). Treffend beschreibt er die Entwicklung der Figur im Lauf des Stücks: „Am Anfang bin ich noch ein ganz normaler Bürger, nett, und alle mögen mich. Irgendwann merke ich, dass es enger wird für mich. Ich werde immer ängstlicher und aggressiver.“ Überzeugend stellt er diesen Wandel auf der Bühne dar: Er beginnt mit naiver Euphorie in der Stimme, dann kann man beobachten, wie sich langsam Zweifel auf seinem Gesicht ausbreiten, und schließlich sind nackte Angst und Verzweiflung in seiner Körpersprache zu erkennen. „Güllen für einen Mord, Konjunktur für eine Leiche“ Wie die Bevölkerung Güllens auf das unmoralische Angebot der alten Dame reagiert, zeigen die jeweiligen Schauspielerinnen eindrucksvoll. Theresa Kunz gibt die Bürgermeisterin heuchlerisch und gewissenlos, Luisa Geib die Lehrerin von inneren Zweifeln zerrissen und Yvonne Grün die Pfarrerin scheinheilig und verschlagen. Nicht unerwähnt bleiben dürfen Patrizia Sander als Ills Frau und Maurice Daub, der gleich in mehrere Rollen der zahlreichen Gatten der Multimilliardärin schlüpft und dabei einen großen Sinn für Humor beweist.

“Fünfhundert Millionen der Stadt und fünfhundert Millionen verteilt auf die Familien“

Ähnlich gerecht müsste man das Lob auf alle Mitglieder der Theater-AG verteilen, die an der Produktion mitgewirkt haben. „Wir haben eine sehr große Belegschaft, eine riesige Truppe. Wir mussten überlegen, wie wir viele Rollen bekommen, die wirklich was zu sagen haben. Wir wollen keine Statisten, sondern wirklich Rollen und Schauspieler, die zum Gelingen des Stückes beitragen“, wissen die Regisseure zu berichten. Diese Zielvorgabe ist deutlich übertroffen worden, denn jede Figur wird von den Schülerinnen und Schülern mit Leben gefüllt: die Kastraten Toby (Johannes Wolscht) und Roby (Jan Krüger), die Buttler Koby und Boby (Aylin und Selin Sogukcelik), die Ärztin/Radioreporterin (Sina Helber), die Polizistin (Leonie Hahn), die Bürger (Androniki Karipidou, Stella Pagano, Lara Schiek, Lena Oberer), die Malerin/Bahnbeamte (Sarah Thon), die Pressefrau (Antonia Schmid), die Kamerafrau (Emely Fritz), Ills Tochter (Viktoria Burkhardt) und Ills Sohn (Markus Schuster). Das erstaunlich junge Ensemble geht insgesamt höchst spielfreudig, textsicher und sprachlich gewandt zu Werke. Auch nicht unerwähnt bleiben darf der enorme Einsatz der Technik-AG und der zahlreichen Helfer vor und hinter der Bühne, die zum Gelingen der Aufführung beigetragen haben. Und so endet der Abend mit dem verdienten Applaus für die „junge (alte) Dame“ und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die mit so viel Herzblut und Wortwitz agierten.